Verbindungen III – 1939

1939 beginnt der Zweite Weltkrieg.

In seiner Rede zum 100. Todestag Johann Wolfgang von Goethes 1932 in Frankfurt am Main hat Albert Schweitzer vor den Gefahren des aufkommenden Nationalsozialismus gewarnt.

Sein Großneffe Jean-Paul Sartre hat 1922 sein Abitur gemacht, 1928 seine künftige Wegge-fährtin Simone de Beauvoir getroffen und war 1933 ein Jahr lang als Stipendiat am Institut français in Berlin. Zum Schuljahr 1937/38 ist Sartre in den Pariser Vorort Neuilly versetzt worden, auch Beauvoir hat eine Stelle in Paris bekommen. Sie wohnten nun in zwei Zimmern eines kleinen Hotels (Hotel Mistral) im XIV. Arrondissement; ans Heiraten denken sie nicht: Beauvoir will emanzipiert leben, und dazu gehört, dass sie weder Ehefrau noch Mutter sein will.
Im April 1938 ist mit Erfolg »La Nausée« herausgekommen: ein Roman, dessen Ich-Erzähler Roquentin ähnliche Sinn- und Selbstfindungsprobleme hat und der so wie dieser die Krise schließlich nicht durch Selbstmord löst, sondern mit dem Entschluss Romancier zu werden. Auch ein Sammelband mit Erzählungen aus den letzten drei Jahren, den Sartre 1939 unter dem Titel »Le Mur« herausgibt, findet erfreuliche Beachtung. Zugleich beauftragte ihn André Gide, eine Artikelserie über moderne Autoren für die »Nouvelle Revue Française« zu schreiben: Sartre hatte seinen Durchbruch geschafft und beginnt mit dem ersten Teil seines unvollendeten vierteiligen Romanzyklus: Les chemins de la liberté, der 1945 erscheinen wird.
Ende Juni 1940, kurz vor dem Waffenstillstand, gerät Sartre mit seiner Einheit in Gefan-genschaft. Hierbei nimmt ihm ein deutscher Offizier das fertige Manuskript ab, verwahrt es aber und läßt es ihm später wieder zukommen. 10 Monate später kann er mit Hilfe ei-nes falschen Attests aus dem Kriegsgefangenlager in Trier fliehen. Sartre will sich dem Untergrund anschließen, wird aber als Gestapo-Agent verdächtigt und als Intellektueller aber für den bewaffneten Kampf für unbrauchbar gehalten. Seine Erfahrungen verarbeitet er später in »Les mains sales« (Die schmutzigen Hände). Sein Versuch, 1942 mit französischen Intellektuellen Kontakt aufzunehmen, scheitert, er kommt als Gymnasiallehrer nach Paris und beschränkt sich aufs Schreiben: »Les mouches« (Die Fliegen) wird noch 1943 während der deutschen Besatzung uraufgeführt, und »L’Être et le néant« (Das Sein und das Nichts) erscheint trotz Papierknappheit 1943. Nach der Niederlage der Deutschen in Stalingrad faßt die Résistance wieder Mut, Sartre schließt sich dem »Comité national des écrivains« (Nationalkomitee der Schriftsteller) an. Später im Jahr verfaßt Sartre sein erstes Film-Drehbuch »Les jeux sont faits« (Das Spiel ist aus) sowie in wenigen Tagen sein wohl bestes Stück: »Huis clos« (Geschlossene Gesellschaft), ein Drama um einen Mann und zwei Frauen, die sich mit allen Tricks des Psychoterrors gegenseitig das Leben zur Hölle machen, wo sie der Fiktion nach schon sind. Als »Huis clos« am 27. Mai 1944 zwei Wochen vor der Landung der Alliierten in der Normandie erfolgreich aufgeführt wird, bestätigt es Sartre als eine zentrale Figur im intellektuellen Paris der Zeit.

Albert Camus hat 1934, mit 21, d. h. eben volljährig geworden die 19-jährige extravagante und morphinsüchtige Simone Hié geheiratet und ist zu ihren Eltern gezogen. 1935 ist er Mitglied der kommunistischen Partei geworden,1936 hat er mit Simone gebrochen, weil er bemerkte, daß sie sich bei Ärzten prostituierte, um an Morphium zu kommen. Im gleichen Jahr hat ihn die kommunistische Partei ausgeschlossen, weil er gegen die Anweisungen aus Moskau weiterhin die Kolonialpolitik Frankreichs kritisiert. (Moskau hatte jegliche antikolonialistische Agitation untersagt, um die Verteidigungskraft Frankreichs gegenüber dem aufrüstenden Deutschland nicht zu schwächen.) Wegen seiner Tuberkulose ist eine Anstellung als beamteter Gymnasialprofessor ausgeschlossen. Als Reporter bei dem neuen (linken) Blatt Alger républicain berichtet er vor allem über Prozesse gegen Araber und Berber. Im Sommer 1939 schreibt er eine die Behörden anklagende Artikelserie über eine Hungersnot im Hinterland Algiers. Er hat sich mit seiner späteren zweiten Frau liiert, der Mathematikstudentin und dann Mathematiklehrerin Francine Faure, an dem Roman »L’Étranger«, dem Bühnenstück »Caligula« (Uraufführung 1945) und dem philophischen Essay »Le Mythe de Sisyphe« zu schreiben begonnen. »L’Étranger« wir 1942 bei Gallimard erscheinen und gilt als eines der Hauptwerke des Existentialismus. »Le Mythe de Sisyphe«, in dem Camus seine Philosophie des Absurden, die eng mit dem Existentialismus verwandt ist, entwickelt, wird ebenfalls 1942 erscheinen und gilt neben »L’homme révolté« als Camus’ wichtigstes philosophisches Werk.


In New York arbeitet Theodor W. Adorno als Mitarbeiter an Horkheimers Institute for Social Research. Mit Horkheimer zusammen wird er 1949 nach Frankfurt zurückkehren.
Noch vor Hitlers Machtantritt hat Herbert Marcuse 1933 Deutschland verlassen und eine zeitlang in Zürich, Genf und Paris gearbeitet, bevor er 1934 endgültig in die USA emigriert ist, wo er im nach New York übergesiedelten Institut für Sozialforschung Marcuse eine feste Anstellung erhalten hat.
Herbert Frahm, der sich 1934 den Decknamen Willy Brandt zugelegt hat, ist ein Jahr vor Kriegsbeginn ausgebürgert worden. Er wird die norwegische Staatsbürgerschaft erhalten und den Krieg in Stockholm verbringen.
Im Gegensatz zu den Büchern von Thomas Mann sind die Werke von Sigmund Freud, 1930 mit dem Goethepreis ausgezeichnet, der Bücherverbrennung zum Opfer gefallen.
Die Emigration hat Max Horkheimer über Genf und Paris nach New York geführt, wo er an der Columbia University das von den Nazis geschlossene Institut für Sozialforschung neu gegründet ha. 1941 wird er an die Westküste nach Pacific Palisades (Los Angeles) umsiedeln und dort direkter Nachbar von Thomas Mann werden.
Thomas Mann, der zu den bedeutendsten Erzählern deutscher Sprache im 20. Jahrhundert zählt, ist bei Kriegsausbruch 64 Jahre alt, hat für seine 1901 erschienenen »Boodenbrooks« 1929 den Literaturnobelpreis erhalten. Bei Beginn des Ersten Weltkriegs noch verhalten patriotisch (»Muß man nicht dankbar sein für das vollkommen Unerwartete, so große Dinge erleben zu dürfen?«), hat er den Machtzuwachs der NSDAP mit großem Argwohn verfolgt. Schon 1930 hat er sich im Bonner Beethovensaal mit seiner »Deutsche Ansprache« eindeutig positioniert. Anläßlich des 50. Todestages von Richard Wagner von mehreren Seiten um eine Rede gebeten, hat er ein Essay »Leiden und Größe Richard Wagners« verfaßt und dieses am Auditorium Maximum der Universität München am 10. Februar 1933 gehalten. Seine Tags darauf beginnenden Auslandsreise wird ihn in die USA führen. Seine monatlich von der BBC ausgestrahlten fünf- bis achtminütigen Ansprachen »Deutsche Hörer!« werden in Kalifornien auf Platte aufgenommen und per Kabel nach London gesandt.
Helmut Schmidt hat 1937 sein Abitur gemacht und seinen Wehrdienst abgeleistet. Während des Kriegs wir Schmidt an der Ostfront eingesetzt und im Reichsluftfahrtministerum in Berlin arbeiten.
Ludwig Wittgenstein hat etwa 1936 an den Arbeiten zu den Philosophischen Untersuchungen, dem Hauptwerk der sprachanalytischen Philosophie begonnen und arbeitet während des Zweiten Weltkriegs freiwillig als Pfleger in einem Londoner Krankenhaus.

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